North Foreand lighthouse | © Dariusz Kantor

Lighthouse North Foreland, Kent, England

Der lange Abschied

Die Wärter nennen den Ort Hölle, Fegefeuer oder Paradies. Dies also ist das Paradies: der Rasen gepflegt, die Hecke gestutzt, der Turm schneeweiß. Nichts deutet auf Abschied hin. Und der goldene Löwe über dem Eingang zum Turm zeigt allen Wehmütigen zornig sein Schwert und seine blaue Zunge.

Wachablösung auf dem Leuchtturm North Foreland im Südosten der britischen Inseln. “Manche Leute erfahren einige Tage vorher, dass es vorbei ist. Wir wissen es seit Jahren”, sagt Dermot Cronin, Hauptwärter des weißen Turms. Seit 10 Jahren erlebt er die Automation von Leuchttürmen. Wenn er im November 1998 North Foreland verlässt, geht er als letzter Principal Keeper der britischen Inseln – 12 Jahre später als sein letzter deutscher Kollege.

Der Trend zur Automation erobert die Leuchttürme weltweit. Das globale Motiv sind Kosteneinsparungen – pro Anlage bis zu 1,5 Mio. britische Pfund bei einer voraussichtlichen Betriebsdauer von 15 Jahren, errechnet Trinity House, Eigner der britischen Leuchtürme. “Und was ist, wenn nachts das Leuchtfeuer ausfällt und keiner ist da?” fragt Mr. Tucker, Hotelier im angrenzenden Badeort Broadstairs.

Rein technisch gesehen ist die neue Anlage gegen Störfälle besser gesichert. Alle wichtigen Bestandteile sind dann zwei Mal vorhanden. Sie werden im Bedarfsfall automatisch zugeschaltet. “Und wenn heute das Notstromaggregat ausfällt, kann ich auch nur den Elektriker rufen”, sagt der Leuchtturmwärter.

Bishop Rock

Die Geschichte von Dermot Cronin begann 1944 an der irischen Küste. Mit 21 Jahren entschied er sich für eine Zukunft als Leuchtturmwärter. “Gegen das Büro, für bessere Luft”, wie er sagt. 1986 wurde Cronin Hauptwärter auf Zeit und 1988 schließlich Principal Keeper auf Bishop Rock, dem mit 42 Metern höchsten Turm der britischen Inseln. Dieser Turm ist das Gegenstück zu North Foreland. Er gehört in die Kategorie Hölle. Der Leuchtturm steht auf einem flachen Felsen 50 Kilometer vor der Küste von Cornwall. Seine Mauern sind an der höchsten Stelle immer noch 60 cm dick.

Nein, Angst hatte er keine. Respekt ja, aber keine Angst, sagt Dermot Cronin, der bis heute nicht schwimmen kann. Aber wer denkt schon an Schwimmen, wenn der Sturm das Meer bis zum obersten Turmfenster peitscht und es dunkel wird wie in der Tiefsee.

Dermot Cronin verließ Bishop Rock 1992. Ihm folgten andere Leuchtturmwärter. Heute wohnt dort niemand mehr. In routinemäßigen Abständen oder zu notwendigen Reparaturarbeiten landen die mobilen Wartungsteams auf dem Hubschrauberlandedeck oberhalb der Laterne. In einigen Türmen ist der untere Raum für Schiffbrüchige vorgesehen. Er wird von Fernsehkameras überwacht.

Vor 3 Jahren wechselte Dermot Cronin auf die Seite der Monitore und arbeitete auf Holy Head, einer Bodenstation, die sieben automatisierte Leuchttürme kontrollierte – bis das Überwachungssystem in Harwich zentralisiert und Holy Head geschlossen wurde.

Der Auszug

Dermot Cronin kehrte zu den Leuchttürmen zurück – erst nach Nashpoint und im April diesen Jahres nach North Foreland. Er hat nichts persönliches mehr mitgebracht. “Warum auch”, sagt er. Zum festen Mobiliar in dem kleinen Wohnzimmer zählen 3 Sessel und ein niedriger Tisch. An den Wänden blieben kaum sichtbar die Schatten abgehängter Bilder. Der Boden ist mit Teppich ausgelegt. Vor dem zugemauerten Kamin steht ein kleiner Fernsehapparat. Alles ist sorgsam gepflegt, und damit das auch so bleibt, legt der Wärter unter jedes unserer Teegläser eine Zeitung.

Draußen ist es dunkel. Es regnet. Dermot Cronin hat einen langen Tag hinter sich, auch wenn es für einen Leuchtturmwärter keine Arbeit mehr gibt. Jetzt sind die Ingenieure im Haus. Es gibt unendlich viele Kabel zu ziehen. Und dann sind da noch die Leute von der Zeitung und nächste Woche die BBC. Und im Turm, der letzte Leuchtturmwärter? “Ich bin kein Lighthousekeeper”, sagt der Leuchtturmwärter plötzlich. “Ich passe nicht auf den Turm auf. Ich bin ein lightkeeper”, sagt er und steigt mit uns in der Dunkelheit hinauf in das Herz des Turms.

Der sechseckige Turm ist innen nahezu leer. Auch hier sind die Wände makellos weiß. Die Treppe kreist an der Innenwand hinauf, vorbei an den kleinen Fenstern, deren Sims die Dicke der Mauern aus Backstein und Kiesel erahnen lässt.

Die Zierträger der Gitterroste unterhalb der Laterne sind bis ins Detail ausgearbeitet. Die Messingscheiben für die Luftzufuhr blinken. Der Griff an der schweren Tür, die zur Galerie führt, ist eine Messinghand, die die unsichtbare Klinke umfasst wie seit 100 Jahren. Warum dieser Aufwand? Warum diese Liebe zum Detail, wenn doch niemand mehr da ist, der es sieht?

“Doch, doch. Eines Tages werden Leute kommen. Es gibt ein Mischkonzept für den Leuchtturm. Zum einen arbeitet er vollautomatisiert, zum anderen werden hier eines Tages Besucher durchgeführt.”

Licht auf dem Meer

Draußen auf der Galerie weht ein kräftiger Wind. Alle 20 Sekunden zeigen 5 Lichtblitze hinaus aufs Meer. “Das ist der Name des Turms. An diesem sichtbaren Morsezeichen erkennen die Seeleute ihn zweifelsfrei.” Wir folgen dem Leuchtfeuer mit unseren Augen. “Bei Vollmond war es sehr schön auf Bishop Rock,” sagt Dermot Cronin. Ob unsere Schatten jemand sieht da draußen? “Ganz sicher nicht”, sagt der Lichtwärter und lacht.

Wir klettern hinein in die Laterne. Die 3 KW Lampe geht nie ganz aus. Der Leuchtfaden glüht, und wir können hineinschauen in die Gürtellinse, die zu einer Seite hin geöffnet ist. Das Licht spiegelt sich in dem Glas. Sie ist wunderschön. Der Lichtwärter zeigt uns die Linsenringe, die das Licht in die Horizontale lenken und es 19 Seemeilen hinaus auf Meer tragen. “Das ist eine katadioptrisch fixierte Linse erster Ordnung”, sagt er, und wir nicken ehrfürchtig.

Können Sie sich vorstellen, dass hier einmal kein Leuchtfeuer mehr brennt? “Sicher, wenn die Technik so weit ist, dass es niemand mehr braucht”, sagt der Lichtwärter.

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“Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern?” – so fragt der letzte Mensch und blinzelt.”

Position 51 Grad 22′.5 N 1 Grad 26′.8 O – seit dem 26. November 1998 unbemannt.

Petra Wegmann

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